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Kleiner Bruder
Nuka, was so viel heißt wie „Kleiner Bruder“, ich durfte ihn erleben, ihn fühlen, ihn spüren – blaue Flecken inklusive.
Eins ist sicher, Nuka erhält kein Vollmantelgeschoss, illegal abgefeuert aus der Büchse eines Jägers, bewusst in den Bauchraum, um sich dann quälend aus dem Revier des Schützen zu schleppen. Wie in 101 andere nachgewiesenen Fällen und einer vermutlich viel größeren ehrlichen Zahl. Auch Nukas biologische Mutter ist tot; sie wurde auch ein Verwechslungsopfer einer stillen, aus Angst vor Protest fast schon geheim gehaltenen, aber offiziell bewilligten „letalen Entnahme“ (Tötung eines „Problemwolfes“, auch auf ungesicherten Weiden werden heute Wölfe beim Riss zu Problemwölfen deklariert). Dazu aber mehr in der Anlage von Wolfsschutz-Deutschland.de unten.
Nein, Nuka darf leben! Nicht unter natürlichen Bedingungen, nicht in Freiheit; zumal auch eine Rückführung in die Natur wegen der Gewöhnung auf den Menschen völlig unmöglich ist, aber er darf leben. Während ich persönlich das System der Tierparks und der Gefangenschaft zur Belustigung von Menschen sehr verachte, ist es in diesem Fall eine Rettungsstation für einen kleinen Wolf – gut so.
Das bayerische Findelwölfchen Nuka wurde am 10. Juni im Alter von 4 bis 6 Wochen gefunden. Um den Monatswechsel April/Mai werden auf der gesamten Nordhalbkugel die Wolfswelpen geboren. Der völlig ausgemergelte kleine männliche Wolf wurde in Obhut genommen, erstversorgt und kam dann in die Verantwortung des LfU (Bayerisches Landesamt für Umwelt). Sofort wurde nach Lebenszeichen seiner Familie in dem Gebiet gesucht, wo er gefunden wurde, doch alle Bemühungen, den kleinen Wolf wieder mit seiner Familie zu vereinen, führten zeitnah zu keinem Erfolg.
Nun ist Nuka in der Wolfauffangstation des Wildparks Lüneburger Heide in Sicherheit, wird von Tanja und Achim wunderbar betreut und auf ein Leben mit und unter Menschen vorbereitet. Noch hält der kleine Nuka derzeit Tanja Askani, Wolfs-Expertin im Wildpark Lüneburger Heide in Nindorf, in Atem. Zeitnah kommt er nach Belgien, so die Planung.
Morgens um 10 Uhr etwa stand ich umgeben von Wolfsgehegen, wie verabredet, in der Nähe von Nuka. Nach einer Einweisung für die Begehung von Nukas Gehege ging es endlich los. Ich weiß nicht, ob ich als Hundehalter vielleicht ein besonderes Vertrauen genoss – vielleicht war es auch die positive Grundeinstellung oder gar die Liebe zum Wolf, die sie mir als Profi sofort ansah. Aber offenbar war Tanja 100 Prozent sicher, dass nichts passieren kann. Ich würde bei mir zuhause tatsächlich keine fremde Person einfach ins Wohnzimmer zu Nox meinem Ridgeback-Rüden lassen, wahrscheinlich nicht einmal mit Einweisung zum richtigen Verhalten.
Da standen wir nun in der Hütte, einer Art großer Schleuse. Zu sehen waren alle notwendigen Utensilien zur Haltung. Am Ende links war auf Brusthöhe ein kleines Fenster, hinter dem alle 2-3 Sekunden ein springender junger Wolf zu sehen war. Kein Zweifel: Hier freut sich ein Wolf auf seine Pfleger. Er sprang unermüdlich in seinem Gehege hoch, um durch das Fenster etwas zu erkennen.
Es ging zunächst von der Hütte in einen Gehegevorraum, von dem man in drei Gehege gelangt, und von dort aus dann endlich zu Nuka. Auch jetzt, beim Schreiben, um Euch den Moment so plastisch und authentisch wie nur möglich zu vermitteln, fließen mir die Tränen vor Rührung. Es ist mit Worten kaum zu beschreiben; ohnehin zählten in diesem Moment Worte überhaupt nicht. Wildtiere, insbesondere Wölfe, sind Großmeister der Körpersprache. Knurren, Jaulen und auch gelegentliches Bellen sind im Grunde nur zur akustischen Untermauerung der Körpersprache. Ich glaube tatsächlich, dass man hier als jahrelanger Hundehalter einen kleinen Vorteil hat, diese Körpersprache zu lesen. Nuka und ich wurden extrem schnell warm.
Aufgrund meiner natürlichen größeren Körperlänge ging ich langsam und seitlich ins Gehege, nicht schnell und frontal. Fast „uninteressiert“ wollte ich wirken, obwohl ich ihn am liebsten sofort fest in den Arm genommen hätte. Nuka machte sich extrem lang, um nicht näher zu kommen, aber um meinen Geruch aufnehmen zu können. Irgendwie hat er in Bruchteilen von Sekunden schon verstanden, dass hier keine Gefahr zu erwarten ist und stellte all seine Sinne auf Spiel, auf sehr intensives Spiel um. Tanja hatte mich am Telefon schon vorgewarnt: „Du willst nach 10 Minuten wieder raus“, waren ihre Worte.
Ich muss ihre Worte bestätigen, übrigens alle ihre Worte, aber dazu später mehr. Jetzt war Nuka dran. Ich erwartete tatsächlich ein „hartes“ Spiel, ein zu heftiges „Festhalten“. Wölfe und Hunde haben halt nur ihr Maul zum Greifen. Nuka war erstaunlich vorsichtig, wahrscheinlich weil er mit Hunden spielen durfte. Unter Hunden, wie auch unter Wölfen, lernen die Welpen gewisse Beishemmungen, also, dass sie im Spiel nicht zu stark beißen. Sie lernen dies, indem sie kurz fiepen und dann plötzlich das Spiel abbrechen. Eben so, wie wir es mit unseren Hundewelpen auch machen sollen; das sensibilisiert die angewandte Beißkraft.
Nuka hatte extremen Spaß am schnellen Wechsel von jagen und Bejagtem, gern lief ich davon, ließ mir in die Waden zwicken, drehte mich plötzlich um und setzte an ihn zu jagen. Sofort verschwand er holte erneut zum Anlauf auf meine Beine aus und so ging das unermüdlich weiter. Allerdings nur für ihn, ich war platt, fix und foxi, nach 10 min. Irgendwie schien er das zu spüren, sofort ging das Spiel über in ein Schmusen, er warf sich gern mit dem ganzen Körper in den Schoß. Es war eine Mischung aus kraul mich, aber vergiss das Spiel nicht. Was ein freundlicher, lieber und vermutlich dankbarer Kerl er war, dieser „Kleine Bruder“.
Ich hatte das große Glück nicht nur Nuka zu erleben, sondern auch zwei wunderbare Menschen. Tanja Askani und Achim Heisler haben ihr Berufsleben fast hinter sich. Ein Alter in dem man viel reflektiert. Hand aufs Herz, unglaublich viele Menschen sind schon früh oder irgendwann einmal abgebogen, haben sich beruflich neu orientiert. Kaum ein gelernter Tischler arbeitet heute noch als Tischler. Sich mit ca. 16 oder 17 Jahren für das ganze Leben zu entscheiden und richtig zu entscheiden, scheint unmöglich zu sein. Zu sehr sind wir oft von kindlicher Prägung, Ereignissen, Erlebnissen, oder einfach noch Vorstellungen, auch Wertvorstellungen irgendeiner Art überzeugt, unseren Weg gefunden zu haben.
Für Tanja war die Vorstellung der anmutigen, vielleicht in unserer menschlichen Interpretation erhabenen und stolzen Geifvögel prägend, sie wurde mit nur 16 Jahren schon Falknerin. Wie beim Förster etwa, ist auch bei der Falknerin der Jagdschein zugehörig, wird also miterledigt. Viel viel später erst, von anderen besonderen Erlebnissen aus der Bahn geworfen, stellte sie den Beruf, sogar sich selbst in der Entscheidung zum Beruf in Frage. Aber genau das macht den charakterstarken Menschen ja aus, sich immer wieder zu reflektieren, sich eben weiterzuentwickeln.
Tanja hatte eines Tages ein Rehkitz aufzupäppeln. Wenig später tauchte im Garten ein Wildkaninchen auf. „Ja und“ denken jetzt sicherlich einige, aber diese beiden Wildtiere waren besonders. Das Wildkaninchen freundete sich mit dem Kitz an, baute oft ein „Nest“ aus Gras und lud die junge Rehdame ein, darin Platz zu nehmen. Viele Stunden, ganze Abende verbrachten diese gemeinsam in ihrem Liebesnest.
Diese unglaublichen Beobachtungen verändern, zeigten Tanja, dass auch Tiere eine Seele haben, so ihre Worte ihrer ergreifenden Erzählungen. Fortan stand für sie das Thema Jagd, das Töten von Wildtieren auf dem Prüfstand. Selbstverständlich nicht die Jagd der natürlichen Beutegreifer, wohl aber das Maß derer menschlichen Jäger, die zur eigenen Belustigung, zur eigenen Bedürfnisbefriedigung, nicht mal zum Fleischverzehr Tiere töten.
Ab hier erweiterte dann auch Achim das Gespräch in für mich sehr gehaltvolle, bewegende Stunden der gemeinsamen Diskussionen ab. Wir philosophierten fast schon über das Leben, über verschiedene Betrachtungsweisen, über den Sinn und Unsinn von Jagd und Hobbyjagd. Beeindruckend für mich war das Achim und ich, obgleich aus völlig anderem Leben kommend, mit völlig anderen Erfahrungen uns hier thematisch irre schnell anglichen, wir uns auf der Ebene der Wissenschaft, der Daten, Fakten, Messungen ergänzten. Hier sind seine Facebook Beiträge alle samt sehr zu empfehlen, genauso übrigens wie die von Tanja Askani.
Auf der Fahrt nach Hause hatte ich viele Worte von Tanja und Achim noch einmal Revue passieren lassen und statt Antworten, öffneten sich auch viele Fragen.
Warum hat sich ein großer Teil der Jagd von einst heute zu dieser Hobbyjagd entwickelt, zweifellos zur Spaßtötung, denken wir zB. an die Gesellschaftsjagden?
Warum haben wir noch die Wolfsdiskussionen, da diese doch im Grunde nur noch von der Weidetierhaltung berechtigt diskutiert werden dürfte? Warum aber diskutieren hier eigentlich immernoch Jägerschaften mit, dass extrem gegen den Wolf agierend?
Früher hatte die Politik Macht, wenn sie die Medien gewannen, dass Volk für ihr Eigeninteresse manipulieren konnten, sind heute dahingehend Politiker abgelöst worden von Lobbyisten? Regiert heute nicht mehr die demokratische gewählte Politik, sondern der Lobbyismus?
Fragen über Fragen, es war ein fantastischer Tag mit Nuka und zwei wundervollen Menschen. Leb‘ wohl Kleiner Bruder.
Interessante ergänzende Links:
Wolfsschutz Deutschland erstattet Anzeige:
https://wolfsschutz-deutschland.de/2024/08/31/bayern-mutterwoelfin-frigga-per-schiessbefehl-hingerichtet-strafanzeige/
Alles zum Wolf:
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/15812.html?
Danke lieber Guido, dass wir an dieser einzigartigen Begegnung mit Nuka teilhaben konnten. Kein Zweifel, dieser Wolf wollte dir etwas für deine spezielle Liebe zu seinen Artgenossen zurückgeben. Da geht einem wirklich das Herz auf!!!
Was das Thema Jagd betrifft und die derzeitig lautstarken zahlreichen Proteste seiner Anhänger: Mir scheinen diese sogenannten Naturschützer absolut kompromisslos zu sein und über eine viel zu machtvolle Lobby zu verfügen – von der engagierten Unterstützung aus den Reihen der etablierten konservativen Politiker/innen gar nicht zu reden…
Zurück zum Positiven: Ich wünsche dir noch viele solcher herzerwärmenden Begegnungen mit Wölfen und anderen Wildtieren und danke für dein jahrelanges Engagement für deren Wohlergehen.
Herzliche Grüße, Evi
Lieber Guido, im Strahlen deiner Augen spiegeln sich deine mitreißenden, gefühlvollen und bewegenden Worte wieder. Zwei völlig fremde Wesen treffen aufeinander und doch spürt man sofort die Kraft und Verbundenheit zwischen euch. Ich kann mir regelrecht vorstellen wie du noch heute mit leuchtenden Augen und einem glücklichen Lächeln an dieses besondere Erlebnis denkst.
Wunderschöne und beeindruckende Bilder sind von euch entstanden. 🐺🤍
Lieber Guido, danke für den sehr schönen, ergreifenden und informativen Beitrag. Gute Besserung und liebe Grüsse aus der Schweiz 🙋🏻♂️
Lieber Guido, tausend Danke das wir alle an deinem tollen Erlebnis teilhaben dürfen. So wunderschön wie du alles erzählst, als wenn man dabei war. Vielen lieben Dank auch für die tollen Fotos auch mir sind bei diesem schönen Beitrag die Tränen gekommen, vor Freude. Danke, danke, danke ❤️🐾🐺❤️
Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag, lieber Guido.
Danke, dass du uns an deiner ergreifenden Begegnung mit Nuka hast teilnehmen lassen und die Vorstellung von Tanja und Achim. Meine Hochachtung für ihre Leistung und ihre Liebe zu den Tieren.
Ich freue mich immer über deine Beiträge und das wir uns auch im richtigen Leben begegnet sind.
Liebe Grüße Rosi
Wahnsinn, atemberaubend, faszinierend oder einfach nur schön sind Worte, mit denen man dein Treffen mit Nuka beschreiben könnte. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, das ich nicht ein kleines bisschen neidisch bin, aber umso mehr freut es mich, daß Tanja und Achim Dir das ermöglicht haben. Über das Erlebnis an sich muss man nichts sagen, das hast Du toll beschrieben.
Viel interessanter finde ich die Fragen, die aus dem Treffen resultieren.
Warum haben wir die Diskussion um den Wolf eigentlich noch? Weil gewisse Personenkreise und ihre Unterstützer aus Landwirten & Medien das Thema immer wieder neu entfachen und mit unglaublichen Thesen dramatisieren. Ziel ist es, die Rückkehr der Wölfe nicht als Chance für den Natur- und Artenschutz darzustellen sondern als Problem. Ganz oben auf dem Wagen sitzt DJV-Präsident Damann-Tamke und davor ein Gespann aus Jägern, Landwirten, Nutztierhaltern, Wolfsgegnern uvm. die sich blenden, leiten und instrumentalisieren lassen. Nach 25 Jahren Wolf in Deutschland sollte man viele Debatten nicht mehr führen, denn man muss damit leben, daß der Wolf wieder ein Bestandteil unseres Ökosystem ist. Die einzige Debatte müsste sein, wie man seine Nutztiere am besten schützen kann und wie man das Interese daran auf ein minimum dezimiert. Leider ist das Gegenteil der Fall – jede sich bietende Gelegenheit wird genutzt um gegen den Wolf zu hetzen. Sei es ein Wolf im Dorf, der Wolf am Deich, der Wolf auf einer Insel usw. – sofort ist die einzige Lösung der Abschuss! Bullshit – das Zauberwort heißt „Weiterentwicklung“ und genau diese sieht man bei Personen wie Tanja & Achim. Trotz Jagdschein hat man mittlerweile eine sehr differenzierte Meinung zur Jagd und damit sind sie nicht alleine. Es werden immer mehr, die sich mit den Methoden der Jagd nicht mehr identifizieren und die Flinte sprichwörtlich ins Korn werfen. Die aktuelle Form der Jagd ist nicht mehr zeitgemäß und dient auch nicht dem Schutz der Natur – ganz im Gegenteil! Eher schadet sie dieser und das merkt man deutlich wenn man mal hinter die Kulissen schaut. Aber auch hier haben, wie in elitären Kreisen und Sekten, es Aussteiger schwer. Wer sich gegen die Jagd entscheidet wird als Verräter gebranntmarkt, wird bedroht und muss sich wohlmöglich einen neuen Wohnort suchen. Die Jagd ist ein Milliardengeschäft, welches immer mehr Zulauf findet und genau deswegen wird diese so attraktiv wie möglich dargestellt. Man will garnicht wissen, wieviel Millionen der DJV jedes Jahr für die Darstellung eines reinen „Images“ ausgibt, aber es müssen einige sein und alle Spielen mit. Politik und Medien sind auf Seiten der Jägerschaft und da zeigt man sich gerne Mal gemeinsam auf der „Grünen Woche 2025“. Wichtiger denn je ist, das wir alle zusammen halten, das wahre Gesicht der Jagd zeigen und dazu gehören vielleicht auch die Jäger, die wirklich im Sinne der Natur handeln.